Andacht November / Dezember 2022 / Januar 2023

Weh denen, die Böses gut und Gutes böse nennen, die aus Finsternis Licht und aus Licht Finsternis machen, die aus sauer süß und aus süß sauer machen!
– Monatsspruch November ⋅ Jesaja 5, 20

Pastor Hans Martin Renno

Liebe Leserin, lieber Leser!

Der Prophet Jesaja spricht im Auftrag Gottes. Eindeutig. Missverständnis ausgeschlossen. Zu viele ungerechte Menschen in Gottes Volk. Zu viele Menschen, die sich nicht menschlich verhalten. Zu wenige, die nach Gottes Willen fragen.

Wenn ich den Spruch für Monat November lese und darüber nachdenke, gerate ich rasch ins Stocken: Böses gut und Gutes Böse nennen. Wie ist das mit den Waffen, die an die Ukraine geliefert werden? Waffen zerstören, töten, bringen Trauer, Elend, Not, Verwüstung. Sind sie gut zu nennen, weil sie der Ukraine helfen, sich gegen den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands zur Wehr zu setzen? Jesus rät in der Bergpredigt: „Wenn dich jemand auf die rechte Backe schlägt, dann halte ihm auch deine andere Backe hin!“ (Mt. 5, 39) – Ist das ein Argument für die Ablehnung von Waffenlieferungen? Klar ist: Sowohl Waffen zu liefern, als auch dies nicht zu tun bedeutet Schuld auf sich zu laden. Dazu beizutragen, dass der Krieg weitergeführt wird. Und dass Ungerechtigkeit sich ungehindert ausbreiten kann.

Der Monatsspruch für den Monat November scheint auf den ersten Blick eindeutig zu sein. Aber im (Er-)Leben sind Gerechtigkeit und Menschlichkeit alles andere als einfach. Mir scheint, wir denken zuerst an uns selbst. Wir gehen von unserem Wohlergehen aus, nach dem wir streben oder das wir bereits erreicht haben.
Und dann erst denken wir an und schauen auf die anderen Menschen und unsere Mitwelt.

Gerechtigkeit im Sinne Gottes – wenn ich es halbwegs richtig verstehe – geht vom großen Ganzen aus, vom Geschaffenen, innerhalb dessen auch der Mensch lebt. Er ist Teil der Schöpfung und Mitmensch – ohne den Zwang sich zu überheben, besser zu sein, besser zu wissen.

Herbe Worte sind es, die Jesaja zu Gottes Volk sagt – und die auch uns treffen. Hören wir sie? Lassen wir uns betreffen? Lassen wir uns berühren? Nehmen wir sie uns zu Herzen?

Für die Spätherbst- und Winterzeit wünsche ich uns allen die Bereitschaft, offen und ehrlich zu uns selbst zu sein...

Ihr Gemeindepastor
Hans Martin Renno

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